Demokratie verteidigen - Wolfgang Kubicki beim Neujahrsempfang der FDP in der Beveraner Schlosskapelle
Zum dreißigsten Mal hatte der FDP-Kreisverband Holzminden zum Neujahrsempfang geladen und
mit Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundesvorsitzender der Freien Demokraten und
Vizepräsident des Deutschen Bundestages, ein politisches Schwergewicht als Ehrengast
gewonnen. Die Freiheit, sein Leben selbst zu bestimmen, das verkörpert Kubicki wie kein
anderer. Seine optimistisch-humorvolle Sicht auf die Dinge ist einfach ansteckend. In gewohnter
Kubicki-Manier parierte der Kieler den musikalischen Auftakt „Gruß aus Kiel“ des
Blechbläserquintetts “Urban Brass“ mit den Worten: „Mir ist schon lange nicht mehr so gut der
Marsch geblasen worden!“
Kubicki schlug gleich zu Beginn ernste Töne an. Der jüngste Konflikt im Nahen Osten bereite den
Menschen viel Sorge und auch Angst. „Es kann dazu führen, dass eine ganze Region, die sich in
unserer Nachbarschaft befindet, in Flammen aufgeht“.
Deshalb müsse Deutschland in der Lage sein, sich vor Angriffen von innen und außen zu
schützen. Dank der mangelhaften Ausstattung der Bundeswehr sei das unmöglich. „Wenn
Hubschrauberpiloten inzwischen für den ADAC fliegen müssen, um ihre Fluglizenz nicht zu
verlieren und die Munition der Bundeswehr nur für einen Tag reicht, da bekommt der Blitzkrieg
eine ganz andere Bedeutung!“ Die Folge: „Wir werden erpressbar.“ Bevor jedoch über die Höhe
des Wehretats entschieden werde, müsse die Frage beantwortet werden: „Was ist die Rolle
Deutschlands in der Welt?“
Als größte Herausforderung bezeichnete Kubicki die Bewältigung des Klimawandels.
„Er ist eine Realität und wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie wir damit fertig werden“,
sagte er. „Das wird uns nicht durch eine hysterische Debatte gelingen, die Panik und Angst
verbreitet.“
Die Lösung liege nicht im Verzicht, sondern in der Kreativität als Industrienation. „Ich bin fest
davon überzeugt, dass wir durch technische Innovationen, z.B. durch die Nutzung von
Wasserstoff, weniger CO2-Emissionen erreichen können.“ Marktwirtschaftliche Instrumente wie
der Emissionshandel seinen hier geeigneter als Verbote.
Das deutsche Bildungssystem sieht er kritisch. „Die vielen neuen Privatschulen zeigen, wie es um
Schule bestellt ist. Der Unterricht gilt als erteilt, wenn Schüler im Klassenraum sitzen, selbst wenn
kein Lehrer anwesend ist“, sagte er zwinkernd. „Hier sollten wir uns ein Bespiel nehmen an
Estland, wo Tablets und Online-Lernprogramme ganz normal sind.“
Große Sorge macht sich Kubicki um die Meinungsfreiheit in Deutschland: „Wenn 70% der
Deutschen meinen, dass sie nicht mehr offen ihre Meinung äußern dürfen, haben wir ein
Demokratieproblem!“ Der Umgangston werde rauer und respektloser. „Wir müssen zurück zu einer
sachlichen und friedlichen Debattenkultur mit Respekt und ohne Ausgrenzung.
Deutlich stellte Kubicki klar, dass nur der Staat das Gewaltmonopol innehabe. „Wir dürfen keine
rechtsfreien Räume akzeptieren, wie sie in Leipzig eingerichtet worden seien. „Deutschland ist das
Land mit dem besten Rechtssystem und den meisten Freiheiten“, sagte der Jurist. „Die Menschen
dürfen den Glauben an den Rechtsstaat nicht verlieren.
„Je offener und respektvoller wir über alle Probleme diskutieren, umso weniger haben
populistische Organisationen die Möglichkeit, unsere Demokratie zu demontieren!“, ist sich Kubicki
sicher.
FDP-Kreisvorsitzender Hermann Grupe konzentrierte sich auf wenige „Kernthemen“. In Anbetracht
des 11,7 Millionen Defizits sei es notwendig, alles auf den Prüfstand zu stellen. „Zeiten knappen
Geldes haben aber auch häufig die Kreativität gefördert und schlussendlich gute Ergebnisse
hervorgebracht. Hier ist es wichtig, dass wir über Parteigrenzen hinweg Lösungen zum Wohle der
Menschen im Landkreis finden!“
Es müsse auch überlegt werden, im Kreis Holzminden die abgeschaffte Förderschule „Lernen“
wieder einzurichten, in Northeim gebe es immerhin noch zwei Förderschulen Lernen. „Zum Wohl
der Kinder, die diesen geschützten Raum brauchen und aus Mangel an Fachkräften, die für eine
erfolgreiche Inklusion notwendig wären“.
In Sachen Digitalisierung sei Deutschland noch ein Entwicklungsland und gerade der ländliche
Raum dürfe nicht den Anschluss verlieren. „Das Geld liegt bereit, aber es wird nicht abgerufen. Die
Antragsverfahren müssen vereinfacht werden“, ist sich Grupe sicher.
Bei der aktuellen Debatte um das Agrarpaket findet er klare Worte und fordert den von Kubicki
geforderten Respekt auch für die Landwirte und die Wertschätzung ihrer Arbeit: „Bei uns in
Niedersachsen hat die Landwirtschaft eine besonders große Bedeutung für die Entwicklung der
ländlichen Räume. Mit den größten friedlichen Demonstrationen, die Deutschland je gesehen hat,
weisen insbesondere junge Landwirte darauf hin, dass sie von der Bundesregierung vor unlösbare
Aufgaben gestellt werden. Diese Herausforderung müssen wir annehmen und
gesamtgesellschaftlich diskutieren. Das bieten unsere Landwirte mit der Bewegung „Land schafft
Verbindung“ und den Treckerdemos im ganzen Land an. Und sie bekommen viel positives
Feedback aus der Bevölkerung. Die Menschen wollen eine starke heimische Landwirtschaft für
gesunde Lebensmittel. Nur im Dialog mit der Landwirtschaft lassen sich Umwelt- und Naturschutz
fortentwickeln“, fordert Hermann Grupe.
Sein Grußwort beim Jahresauftakt der Kreis-FDP nutzt der neue Landrat Michael Schünemann zu
einer ersten Bilanz. Ernüchternd schildert er das vorgefundene 11,7 Millionen-Loch und den
großen Investitionsstau bei den Schulen von 80 — 90 Millionen Euro. „Vom Kreishaus oder den
Kosten der Digitalisierung will ich jetzt gar nicht erst reden. Ich hoffe, dass etwas von den
Überschüssen aus den sprudelnden Steuereinnahmen auf Bundesebene auch bei uns ankommt“,
richtet Schünemann seinen Blick auf Wolfgang Kubicki. Der Schulringtausch sei abgesichert. Alle
anderen Baumaßnahmen seien eingefroren. „Wir müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen
und müssen schwerwiegende Entscheidungen treffen.“ Positiv richtet er seinen Blick aber nach
vorn. „Wir müssen gemeinsam in eine Richtung gehen. Ich bin immer wieder dran, die Politik nahe
zusammenzubringen und halte engen Kontakt zu allen Fraktionsvorsitzenden des Kreistages. Nur
gemeinsam können wir diese Mammutaufgabe bewältigen“, ist sich Schünemann sicher.